– Syrien
Hoffnung, Angst, Warten
Das Assad-Regime ist gefallen, doch die Herausforderungen für Stabilität und Frieden in Syrien sind gewaltig. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) bleibt an seinen vier Standorten an der Seite der Schutzbedürftigen. Landesdirektor P. Vincent de Beaucoudrey SJ beschreibt die Stimmung im Land.
Der Sturz des Assad-Regimes wird von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, zumindest fast allen, die ich kenne, positiv gesehen. Die Freilassung politischer Gefangener, die neue Meinungsfreiheit, das Verschwinden des „Mukhabarat“, der berüchtigten Geheimpolizei: Das sind gute Signale.
Viele Fragen
Wie die Mehrheit der Bevölkerung sind auch die Christinnen und Christen dennoch weiter besorgt: Die gegenwärtige Situation ist unklar, der Krieg ist im Nordosten immer noch präsent, im Süden wird weiter um die Führung gekämpft, es gibt immer noch Gewalt als Reaktion auf den Sturz des Assad-Regimes. Es fehlt an Sicherheitskräften, das ist in fast allen Teilen des Landes offensichtlich, es kommt vermehrt zu Raubüberfällen. Und das schafft Spannungen.
Natürlich sind gerade die Minderheiten des Landes etwas besorgter. Diese Angst wächst durch die Unklarheit über die Zukunft: Welche Art von Führung soll das Land haben? Welche Art von Politik wird sie verfolgen? Welchen Platz werden die Minderheiten finden?


Optimismus fordert Energie
In diesen Punkten versucht die neue Staatsführung, positive Zeichen zu setzen. Aber es gibt auch ambivalente Aussagen. Wie überall verschärfen Gerüchte und soziale Medien die Spannungen, und es mangelt uns an verifizierbaren Quellen. Alle taumeln zwischen all den guten und schlechten Nachrichten, sind gleichermaßen erfüllt von Hoffnungen und Ängsten. Optimismus aber fordert Energie, und die Menschen sind nach 13 Jahren Krise müde und wissen nicht, wie sie die Lebensmittel kaufen sollen, die sie zum Überleben brauchen.
Als Jesuiten versuchen wir, allen zu helfen, diese Energie zu finden, und dabei nicht naiv, sondern optimistisch zu sein. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass die Menschen ihren Platz finden. Wir haben Grund zur Zuversicht, aber wir müssen uns auch Ängsten und Schwierigkeiten stellen, insbesondere in Gebieten, wo noch Gewalt herrscht. Wir glauben, dass wir mit der neuen Führung zusammenarbeiten müssen, um zum Wiederaufbau des Landes beizutragen.
Entschlossener denn je
Bereits am 16. Dezember konnte der JRS einige Programme wiederaufnehmen, nach einer in Aleppo zweiwöchigen und an den anderen Standorten einwöchigen Unterbrechung aufgrund des Umsturzes. Nach unserer traditionellen Weihnachtspause liefen landesweit alle Aktivitäten wieder an. Unsere Projekte – Bildung, sozialer Zusammenhalt und medizinische Versorgung – bleiben in der neuen Situation sehr relevant, und in unserer Entscheidung, an Grenzen und Ränder der Gesellschaft zu gehen, sind wir entschlossener denn je.
Aber wir müssen zugeben, dass unsere Zukunft noch nicht klar umrissen ist: Was wird nützlich sein? Was wird möglich sein?
Wie alle Syrerinnen und Syrer wartet auch der JRS.
P. Vincent de Beaucoudrey SJ
Syrien: Nachbarschaftszentren geben Halt
Nach 14 Jahren Bürgerkrieg droht Syrien eine ganze Generation zu verlieren: Sechs Millionen Schüler:innen zwischen 5 und 17 Jahren haben keinen regelmäßigen Unterricht, zwei Millionen besuchen überhaupt keine Schule. Unzählige Kinder und Jugendliche, viele von ihnen Binnenvertriebene, sind schwer traumatisiert. Nachbarschaftszentren des Jesuiten-Flüchtlingsdienst geben ihnen Halt und Perspektive