– Denkzeit

Bekämpfung von Fluchtursachen

Mehr als 450 Jahre Tradition hat der Jesuiten­orden beim Thema Bildung. Vor sechs Jahren hat der Jesuiten-Flücht­lings­dienst (JRS) begonnen, das Projekt Online-Bildung für junge Menschen an Flüchtlingsschwerpunkten weltweit aufzubauen.

„Im globalen Klassen­zimmer lernen Studenten aus ganz vielen Ländern miteinander und auf diese Weise voneinander“, sagte Pater Peter Balleis, bis vor kurzem internationaler Direktor des JRS, bei einer Podiumsdiskussion am 10. März 2016 im Bayerischen Landtag. „Durch Bildung werden so Konfliktursachen und damit Fluchtursachen bekämpft.“ Die Landtagspräsidentin Barbara Stamm hatte eingeladen zur Eröffnung einer Multimedia-Ausstellung mit dem Titel „Leben auf der Flucht – Bekämpfung von Fluchtursachen“. Die Schau erzählt die Geschichten von Menschen, die mit Migration konfrontiert sind: von engagierten Bürgern, Grenzpolizisten, Schleusern, und von denen, die sich auf den Weg in ein besseres Leben gemacht haben. Der Initiator, der Journalist Mirco Keilberth, zeigt damit die verschiedenen Facetten der Flucht, die für viele junge Männer und Frauen im Nahen Osten und in Afrika derzeit als die einzige Option erscheint. Moderiert von Stephanie Heinzeller vom Bayerischen Rundfunk diskutierten neben Pater Balleis Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller sowie der Hamburger Erzbischof Dr. Stefan Heße über die Frage, wie Fluchtursachen überwunden werden und es gelingen könne, Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben.

Zehn Studienplätze für 11.000 Dollar
Diese Perspektive hat beim Jesuiten-Flücht­lings­dienst die Form eines gewöhnlichen Wohncontainers, der mit Solarmodul, Klimaanlage, Telekommunikation und Rechnern ausgerüstet ist. „Technisch ist das überhaupt kein Problem: wir können komplette Boxen vorinstallieren, einfliegen und hinstellen, wo immer wir sie benötigen: 10 Studienplätze für 11.000 Dollar“, sagte Pater Balleis. In diesen Lernräumen können die Studenten an den online zur Verfügung gestellten Kursen teilnehmen und sogar akademische Credits im Rahmen des Studiengangs „Liberal Arts“ erwerben, die von zahlreichen Universitäten anerkannt werden. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Pilotphase wird das Projekt auf sieben weitere Orte in Flüchtlingsbrennpunkten ausgeweitet. Bis 2018 sollen weltweit insgesamt fast 12.000 Studenten von den neuen Bildungschancen profitieren. Außerdem gibt es Kurse zur Ausbildung von Lehrern sowie Führungskräfte-Trainings.

Weltweiter Hochschulverbund
Seit 2010 hat der Jesuiten-Flücht­lings­dienst zusammen mit der Regis University von Denver, Colorado, das innovative Konzept entwickelt und zunächst in Kenia, Malawi und Jordanien umgesetzt. „In den USA haben sie seit 30 Jahre Erfahrung in Online-Learning, wir haben uns das nutzbar gemacht und weiterentwickelt“, sagte Pater Balleis. Hinter dem Projekt steht JC:HEM, ein Verbund von Hochschulen weltweit, darunter auch zahlreiche katholische wie die Münchner Hochschule für Philosophie. Sie stellen die Inhalte für das Online-Bildungsprogramm bereit. Pater Balleis wird ab September neuer Präsident dieser Organisation und in dieser Funktion die Angebote weiter ausbauen.

Mit Bildung Fluchtursachen bekämpfen
„Wir bringen damit Universität dorthin, wo Menschen sie brauchen, aber ohne unsere Angebote keinerlei Chance haben auf höhere Bildung“, sagte er in der Diskussion. Damit gibt der Jesuiten-Flücht­lings­dienst eine globale Antwort auf ein globales Problem – ganz im Sinn des Titels der Veranstaltung: Fluchtursachen bekämpfen. Es sei eine der wichtigsten Erfahrungen dieses Programms, dass das Lernen, die Reflexion und der gegenseitige Austausch sehr rasch Wirkung zeigten: „Die jungen Menschen mit ganz unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen tauschen sich aus und entwickeln dabei Verständnis füreinander. Sie sehen dann schnell, dass man sogar über Gott anders denken kann, als sie es gewohnt waren. So bekämpfen wir mit Bildung direkt Konflikt- und auf diese Weise Fluchtursachen“, sagte Pater Balleis. Mit dem Lernen im weltweiten Netz habe man so ein Instrument für ein globales Problem.

Generationenaufgabe Flucht
Dr. Gerd Müller, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung warb für eine Art Marschall-Plan, um Menschen im Nahen Osten und in Afrika neue Perspektiven zu verschaffen. „Wenn wir die Zahl der Flüchtlinge nach Europa deutlich senken wollen, dann müssen wir viel mehr für diese Länder tun“, sagte er. Es gebe einen Weg, der an den Ursachen ansetze. „Eine Welt ohne Hunger, ein gerechter Handel sind machbar, aber wir dürfen uns nichts vormachen: das ist eine Generationenaufgabe. Der Minister forderte eine Umfinanzierung des EU-Haushalts sowie eine neue Dimension des Engagements der Industrieländer – etwa durch Kooperationen im schulischen und kommunalen Bereich, durch Ausbildungsinitiativen des deutschen Handwerks, durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Unter­stützung beim Wieder­auf­bau. Er warb eindringlich dafür, Afrika als Partner-Kontinent Europas zu begreifen, räumte aber auch ein: “Wir müssen uns mindestens so anstrengen wie bei der Rettung des Euro."

Ältester Global Player der Welt
Erzbischof Dr. Stefan Heße, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, sagte in der Diskussion, dass die Herausforderung so umfassend sei, dass niemand allein das Problem lösen könne. „Wir brauchen Vernetzung, Kooperation aller Akteure aus der Politik und der Zivilgesellschaft.“ Da komme der Katholischen Kirche als dem ältesten Global Player eine besondere Rolle zu. So seien in Syrien derzeit immer noch 150 Mitarbeiter der Caritas tätig. Pater Balleis ergänzte einen weiteren Aspekt, den christliche Kirchen beitragen könnten: „Die säkulare Gesellschaft tut sich schwer damit, Religion zu verstehen. Wir Christen aber wissen, was Religion für Menschen bedeutet. Wir können so Übersetzer sein zwischen traditionell religiös geprägten Gesellschaften und der westlichen Welt.“

  • Mehr Informationen und Spendenmöglichkeit für die Online-Universität für Flüchtlinge gibt es hier: Projektseite JC:HEM
  • Die Veranstaltung mit über 350 geladenen Gästen wurde aufgezeichnet. Der Beitrag wird von ARD-alpha ausgestrahlt am Samstag, 19. März 2016, um 22.30 Uhr in der Sendereihe Denkzeit

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