– Interview

„Handelt!“ – bevor es zu spät ist...

Arm an Fußnoten, reich an Meinung, Visionen und mitunter provokant: Der Titel des neuen Buchs von Dr. Jörg Alt SJ – „Handelt!“ – kommt nicht von ungefähr. Wir sprachen mit unserem Mitarbeiter für Advocacy und Forschung über sein bisher persönlichstes Buch, und darüber, wie Profitgier und Umweltzerstörung unser Zusammenleben bedrohen.

Jörg, mit „Handelt!“ appellierst du an an Christen und Kirchen, „die Zukunft zu retten“. Wie sind die ersten Reaktionen nach der Veröffentlichung am 20. Januar?

Die Reaktionen decken die ganze Bandbreite ab, von positiv bis ablehnend. Die meisten Kritiker ärgern sich über meine Haltung zum Klima­wandel, werfen mir vor, dass ich mich einseitig positioniere, und dass es ja auch Argumente gegen einen menschengemachten Klima­wandel gäbe. Das zweite große Kritikthema ist, dass gerade die Katholische Kirche mit ihrer Verhütungspolitik dazu beitrage, dass es Überbevölkerung ein Überleben gefährde.

Also Kritik aus sehr unterschiedlichen Ecken. Wie konterst du jeweils?

Den einen entgegne ich, dass ich mich mit der Position der Gegner durchaus beschäftigt habe. Außerdem geht’s im Buch nicht nur um den Klima­wandel, sondern allgemein um die Übernutzung natürlicher Ressourcen und das Absterben des natürlichen Lebensraums. Und was die Bevölkerungsentwicklung betrifft, verweise ich auf die Gewissensentscheidung der Paare, die natürlich auch ihre finanziellen Mittel berücksichtigen müssen, was uns zum nächsten Punkt bringt: In armen Ländern sind Kinder die Altersversicherung der Eltern. Zudem: „Handelt!“ ist ein persönliches Buch und ich vertrete darin meine persönliche Meinung.

Aber es gibt auch viel Zuspruch, in Rezensionen, per Mail oder auf den Sozialen Medien…

Ich freue mich z.B. sehr über Anfragen zu diversen Quellen. Oder über Leser, die um die Erlaubnis, aus meinem Buch bei Vorträgen zu zitieren, oder über Angebote von Lehrstühlen, Doktoranten und Studenten auf Themen anzusetzen, die mir wichtig sind.

Europa muss Vorreiter sein

Nicht alle globalen Entscheider teilen deinen Imperativ des Handelns und Gegensteuerns. Die Rede von Donald Trump auf dem Weltwirtschaftsform in Davos im Januar lässt sich eher mit „Weiter so“ zusammenfassen…

Mit Leuten wie Trump oder den Brexiteers Boris Johnson und Nigel Farage können wir keine Problem-angemessene Politik machen. Nur mit der EU kann der Systemwechsel gelingen. Weil es dort genug Bürger gibt, die die Notwendigkeit sehen und hier aufgrund unserer immer noch halbwegs gut funktionierenden Demokratie den nötigen Druck erzeugen können. Europa muss die Probleme ernsthaft angehe, damit in eine Vorreiterrolle kommen und ein moralisches Beispiel setzen. Dann kann es uns gelingen, Nachahmer und Bündnispartner zu gewinnen.

Sind die EU-Bürger dazu bereit?

Wenn nur 3,5 Prozent der Bevölkerung nachhaltig mobilisiert werden können, ist der nötige Druck da. Und zum Glück orientieren sich ja auch in den USA nicht alle Bürgerinnen und Bürger, Bundesstaaten und Städte an Donald Trump. Man darf nicht vergessen, dass beispielsweise mit Kalifornien eine der größten Volkswirtschaften der Welt das Pariser Klimaabkommen als verbindlich ansieht.

Sind diese entscheidenden 3,5 Prozent nicht längst da? Etwa durch das Engagement von „Fridays for Future“, mit denen du ja in Nürnberg gemeinsame Aktionen startest?

Natürlich haben die „Fridays for Future“ schon einiges erreicht. Das Problem ist halt, dass es noch keinen großen Durchbruch gibt. Da müssen wir versuchen, das Engagement aufrecht zu erhalten bzw. neue Gruppen zu gewinnen, auch wenn einige Enttäuschte die Bewegung verlassen oder sich radikalisieren.

Christen können den Unterschied machen

Eine Radikalisierung, die du aber im Buch als logische Konsequenz oder gar wünschenswert bezeichnest…

Wir leben im Moment in einer Situation, die es in der Menschheitsgeschichte höchstens ein-, zweimal gegeben hat, zuletzt beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Eine solche Transformation wird nicht ohne Konflikte abgehen, zumal wir diesesmal unter akutem Zeitdruck stehen. Ich würde es mir natürlich wünschen, dass wir sie vermeiden können. Auf der anderen Seite aber hat Papst Franziskus ja bereits gesagt, dass unser Wirtschaftssystem tötet, und wir dürfen nicht übersehen, dass die gegenwärtigen Wirtschaftsstrukturen Menschen und Umwelt Gewalt antun. Dagegen fällt doch nicht ins Gewicht, wenn einige Kids SUVs zerkratzen, die den Fahrradweg blockieren?

Du charakterisierst die Kirche als „Global Player“, die mit der Katholischen Soziallehre das Rüstzeug hat, den Wandel mitvoranzutreiben. Die gegenwärtigen Diskussionen um Zölibat, Synodalen Weg etc. mögen Außenstehenden aber zuweilen selbstreferenziell erscheinen…

Deswegen treten die Leute ja aus der Kirche aus. Genau hier hoffe ich auf eine Trendwende: Wenn wir uns mehr um relevante Zukunftsthemen kümmern und neu beweisen, dass Christen einen Unterschied bedeuten, finden auch wieder mehr Leute zu uns. 

Interview: Steffen Windschall


Ein enthemmter Finanzkapitalismus, ungezügelter Raubbau an der Natur und das enorme Tempo technischer Innovation bedrohen unsere Zukunft. Mit „Handelt!“ (Vier-Türme-Verlag, 180 S.) formuliert der Jesuit und Sozialwissenschaftler Dr. Jörg Alt einen flammenden „Appell an Christen und Kirchen, die Zukunft zu retten“

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