– MAGIS Centroamerica

„Sich leben lassen!“

Mit der Jesuit-Volunteers-Delegation nimmt Marcus (35) am Weltjugendtag in Panama und vorab am MAGIS-Programm der Jesuiten in Guatemala teil. In ihrem Experiment tauchen die jungen Deutschen ins Landleben von Santa Cruz del Quiché ein und werden dabei von guatemaltekischer Gastfreundlichkeit überschwemmt.

"Mein Magis-Experiment zusammen mit Nicole und Julian beginnt im ca. 160km nordwestlich gelegenen Santa Cruz del Quiché. Die auf ca. 2.000m gelegene Stadt hat ungefähr 20.000 Einwohner und ist Verwaltungssitz des Departemento El Quiché. Nachdem unser „piloto“ José gekonnt und mit ebenso soviel Akrobatik am Campus der Landivar-Universität das Gepäck von 15 Jugendlichen bzw. jung Gebliebenen auf dem Dach des Kleinbusses verstaut und verzurrt hat, machen wir uns auf den Weg. Für die kommenden Tage werden wir u.a. durch die Direktorin des dislozierten Standortes der Landivar-Universität aus Santa Cruz del Quiché begleitet. Aufgrund der für unsere Verhältnisse mäßig erschlossenen Straßen dauert unsere Fahrt durch das meist bergige und bewaldete Gebiet ungefähr viereinhalb Stunden und führt uns darüber hinaus durch so manches Schlagloch sowie die ein oder andere Dieselwolke.

Zwei Worte als Türöffner

Direktorin Feliciana stattet uns währenddessen bereits mit den zwei wichtigsten Worten der dort üblichen Sprache Quiché aus: „Danke“ und „Guten Tag“. Diese zwei Worte sollen mir für die kommenden Tage eine Art Türöffner zu mir völlig unbekannten Menschen werden. Während der Busfahrt hatten wir schon die erste Gelegenheit auf Tuchfühlung mit den anderen Teilnehmern zu gehen sowie erste zarte Bande mit Brasilianern, Guatemalteken, Polen, Kolumbianern, Ecuadorianern und El Salvadorianern zu knüpfen. Dicht an dicht gedrängt erreichen wir den Campus der Universität, der übrigens mit Hilfe der KfW-Bankengruppe errichtet wurde und daher auch mit der deutschen Fahne beflaggt ist. Es folgt eine kurzweilige Begrüßung sowie ein kurzer Überblick über die kommenden zwei Tage. Fortan soll dieser Ort für uns die Verbindung zur Außenwelt sein, denn dort dürfen wir das WLAN benutzen. Die kommende Nacht verbringen wir in einem Wohnheim „Barbara Ford“ von den „Schwestern der Nächstenliebe aus New York“ – eine Art Bildungsstätte. Da wir zeitlich deutlich im Verzug sind und damit die „hora chapina“ (guatemaltekische Stunde) wieder zugeschlagen hat, erwartet uns bereits ein Priester aus einem drei Stunden entfernten Bergdorf, um uns parallel zum Abendessen einen geistlichen Impuls mit auf den Weg zu geben. „Na prima!“ denke ich mir, parallel zum Abendessen auch noch hochtheologische Gedanken entwickeln. Das kommt mir gerade recht, denn die lange Anreise hat bei uns allen Spuren hinterlassen. (Achtung Ironie!) Auch die Art und Weise seines Vortrages spricht mich überhaupt nicht an und so zieht sein Impuls -leider- relativ geräuschlos an mir vorbei. Schade, denn, wie ich hörte ergeht es Anderen in der Gruppe nicht anders.

Mit dem Kleinbus nach Chinique

Am nächsten Morgen starten wir mit einem Morgenkreis in freier Natur, während die Sonne mit ihren warmen Strahlen unsere Nasen kitzelt und die Gemüter erwärmt. Beschwingt starten wir wieder Richtung Campus und unsere Gruppe wird nun auf fünf heimische Fami­lien aufgeteilt, die augenscheinlich genauso aufgeregt und gespannt sind, wie wir. Den anstehenden Tag und die kommende Nacht werden wir nämlich das Leben mit Ihnen teilen und damit kurz eintauchen in ihren Alltag. Aufgrund der Kommunikation mit unseren Gastgebern bleiben wir Deutsche als Gruppe zusammen und Nicole wird das Spanisch perfekt simultan übersetzen. Und so starten wir mit Ira (30), die über die Woche in einem Café in Santa Cruz del Quiché arbeitet und am Wochenende an der Universität „Soziale Arbeit“ studiert. Schnell noch aus ihrem dort angemieteten Zimmer zwei, drei Dinge geholt und dann wuseln wir uns zu viert durch das bunte Treiben des Marktes, um noch die ein oder andere lokale Köstlichkeit zu erwerben. Da heute das Fest des „cristo negro esquipulas“ ist, anscheinend eines der religiösen, aber auch gesellschaftlichen Highlights des Jahres, wimmelt es nur so von Menschen in der Stadt, wobei die Frauen zu 90% traditionell gewandet sich unter das Volk mischen. Sichtlich stolz zeigt uns Ira noch ihren Arbeitsplatz, wo wir mit einem köstlichen Stück Kuchen auf Nicoles heutigen Geburtstag „anstoßen“. Wir bummeln weiter durch die Stadt und werfen einen Blick auf den „cristo negro“ in der Stadtkirche. An einer für mich unsichtbaren Haltestelle warten wir dann auf einen öffentlichen Kleinbus in Richtung Chinique, wo ihre Mutter, ihr Stiefvater sowie ihre 15-jährige Tochter wohnen. Auch in Chinique sind ungleich weniger Menschenmaßen auf den Straßen unterwegs und so tauchen wir auch hier in das rege Treiben des Marktes ein. Man kann dort alles erwerben, was das Herz begehrt, von Kleidung über einen kleinen Imbiss bis hin zum Fotografen, der Einen vor der Skyline von New York City samt Flugzeug fotografiert.

Herzlichkeit und Vertrauen

Aufgrund des Feiertages ist es üblich, dass sich an einem Tag die Herren der Schöpfung in Schale schmeißen und so verrückt wie möglich verkleiden, um dann tanzend durch die Straßen ziehen. Tags darauf sind die Damen am Zug. So werden wir Zeugen einer für mich befremdlichen Szene, die auf mich wie Disneyland und Starwars in Guatemala wirkt. Nun gut, auch das Unbekannte kann reizvolle Seiten haben. Nun folgt ein kleines persönliches Highlight für mich, denn wir starten mit einer Art Tuktuk zum etwas abseits gelegenen Grundstück von Iras Familie. Dort erwarten uns schon freudestrahlend vier Hunde, wovon zwei noch Welpen sind, und Iras Mutter, die uns herzlich in ihrem Domizil in Empfang nimmt. Das Haus ist sehr einfach und so kocht bereits auf offener Flamme unser Mittagessen. Iras Familie lebt von der Land­wirt­schaft und ein paar Tieren zur Selbstversorgung. Es beeindruckt mich sofort ungemein, wie offen wir in Empfang genommen werden. Ira und ihre Familie öffnen uns ihre Tür und wahrlich ihr Herz. Und so sollen in dieser Nacht nicht nur Julian und ich ein Bett teilen, sondern Nicole auch mit Ira und ihrer Tochter. Welch‘ unvorstellbar intensive Geste an Herzlichkeit und Vertrauen, nicht wahr? Würde ich mit einem mir wildfremden Menschen mein Leben und sogar mein Bett teilen? Meine innerliche Antwort beschämt mich ein wenig und ich sehe mich ungeschickt mit Ausreden hantieren. Um wieviel MEHR sind mir diese Menschen voraus, weit ab von einer vergleichbaren materiellen Situation, wie ich sie haben darf? Sie hätten uns gar nicht aufnehmen müssen und ganz entspannt den jährlichen Festtag feiernd und tanzend begehen können. Erst beim Schreiben dieser Zeilen wird mir diese unglaubliche Tiefe des Erlebten bewusst und ich bekomme eine Gänsehaut. Danke, Ira! Den Abend beschließen wir nochmal in der Innenstadt, wo bei Salsa-Musik Jung und Alt kräftig und ausgelassen an diversen Bühnen feiern. Auch wenn für meinen Geschmack die Musik viel zu laut ist und jede deutsche Behörde sofort eingeschritten wäre und die Veranstaltung in dieser Form untersagt hätte, war es berührend zu sehen, wie die Menschen auf ihre eigene Art und Weise ihre Lebenslust zum Ausdruck bringen.

Mehr Gelassenheit

Nach einer recht angenehmen Nacht schlägt auch am nächsten Morgen die „hora chapina“ wieder erbarmungslos zu und so erreichen wir noch sprintend unseren Bus, der uns wieder zum Campus führen soll. Von der angeblich deutschen Tugend der Pünktlichkeit muss auch ich mich langsam verabschieden. Auch wenn es mir schwer fällt, wobei ein bisschen mehr Gelassenheit in diesen Dingen, gerade hier, mir gut zu Gesichte steht. Dabei hilft mir ungemein, der von Trieu in den ersten Tagen geprägte Leitsatz: Sich leben lassen! Welchˋ unglaubliche Kraft darin steckt, erfahre ich immer dann, wenn manche Dinge nicht so gut klappen oder mich bspw. der Bus von oben bis unten durchschüttelt.

Baustoff aus Plastikmüll

Heute stehen noch einige Punkte auf unserem Programm, die in guatemaltekischer Gelassenheit abgearbeitet werden wollen. Auch ich lasse mich nicht mehr aus der Ruhe bringen, wenn noch nicht alle zur verabredeten Zeit anwesend sind. „Sich leben lassen!“ lautet mein Motto fortan. Und so fahren wir zu einem Projekt, das sich um ökologische Land­wirt­schaft vor Ort kümmert. Das verantwortliche Ehepaar schildert uns anhand eines Vortrages sowie gustatorischer Beispiele ihre beeindruckende Arbeit. So machen sie regelmäßig Frauen aus verschiedenen Dörfern mit dem ökologischen Landbau bekannt, welche dann wiederum daheim als Multiplikatoren fungieren. Beseelt von einer unbeschreiblichen Kraft erklärt uns das Ehepaar eines ihrer nächsten Projekte: Aus Plastikmüll, der leider überall zu finden ist, Plastiksteine für den Hausbau herzustellen. Mich beeindruckt dabei ihr Wagemut und ihre Ausdauer!

Vertrautes im Unbekannten

Im Anschluss dieses Vortrages dürfen wir an einer Maya-Zeremonie teilnehmen, wobei jedem die Teilnahme natürlich freisteht. Ein Maya-Priester erwartet uns bereits und er erklärt uns Einiges über die Maya, insbesondere über die Anordnung der Altäre, die in der Zeremonie eine wesentliche Rolle spielen sollen. Auch ein Opferfeuer wurde bereits aufgebaut, auf welchem u.a. Brot, Schokolade und Kerzen verbrannt werden sollen. Und so beginnt für mich etwas überraschend die Zeremonie mit einem Kreuzeichen des Priester. Zwischen den Steinen des Altares findet sich u.a. auch ein steinernes Kreuz. Auch der Weihrauch, den er während der Feier regelmäßig nutzt, ist mir nicht unbekannt. Begleitet vom leisen Säuseln seiner Gebete entzündet er diverse Kerzen an den Altären und entfacht schließlich das Opferfeuer. Die Hitze durchströmt langsam den Zeremonieort und letztlich dürfen wir Teilnehmer mit eigenen Fürbitten vor einen Altar treten und diese innerlich vor unseren Gott bringen. Die Zeremonie dauert ungefähr eine Stunde und erst das völlig erloschene Feuer beendet diese, denn erst damit wurde die Opfergabe vollständig akzeptiert. Unterm Strich muss ich reüssieren, wie nah und bekannt mir doch einige Elemente der Zeremonie waren und ich im mir Unbekannten auch Vertrautes entdecken konnte.

Bitten und Fürbitten im Schein des Feuers

Unser weiterer Weg führt uns über die Laguna de Lemona, eine Art Naherholungsgebiet in Chichicanstenango. Der Legende nach entstand die Laguna aus den Tränen der Quiché-Frauen, die um ihre ermordeten Männer trauerten. Nach einem kurzen Fußvertreten fahren wir weiter nach Utatlán (eigentlich K’umarkaaj). Vor Ankunft der Spanier war dieser Ort das Zentrum von Quiché. Letztlich wurde die gesamte Festung dem Erdboden gleich gemacht und so stehen heute nur noch Ruinen dort, wo damals das Leben pulsierte. Auch hier dürfen wir an einer weiteren Maya-Zeremonie teilnehmen, wobei diese durch eine Priesterin geleitet wurde und wir einen weitaus aktiveren Part übernommen haben. Im Wesentlichen durften wir anhand von Kerzen, die wir ins Feuer warfen, unsere Bitten und Fürbitten vorbringen. So nahm die Priesterin auch ganz ausdrücklich den bevorstehenden Weltjugendtag sowie Papst Franziskus in ihre Gebete mit auf.

Unerwartete Geburtstagsfeier

Bevor unser Weg wieder in die Bildungsstätte führt, nehmen wir an einer Hl. Messe in der Stadtkirche teil. Der Priester begrüßt uns sehr herzlich und die Gemeinde stimmt per Akklamation mit ein. Zuletzt erteilt er uns Pilgernden den Reisesegen, den wir alle mit offenen Herzen gerne empfangen. Ein langer Tag neigt sich dem Ende und so beenden wir den Tag wieder in Barbara Ford. Auch hier sollen uns noch zwei angenehme Gegebenheiten den Abschied schwerer machen: Während des Abendessens wird unerwartet das Licht gelöscht und eine Schwarzwälder-Kirschtorte an Nicole, verbunden mit den besten nachträglichen Geburtstagswünschen, übergeben. Ein nicht ungelegener leckerer Nachtisch für alle. Zu guter Letzt warten noch vier Jugendliche der örtlichen Kirchengemeinde auf uns, die mit uns gemeinsam Lieder singen, uns bewegen und den gelungenen Tag mit einem Abendgebet beschließen."

Marcus (35) aus Hannover

  • Im Blog #GERMAGIS berichten die Jesuit Volunteers aus Mittelamerika über MAGIS und Weltjugendtag
  • Freiwilligen-Programm Jesuit Volunteers: alles Infos zu Einsätzen und Bewerbung

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