Leonhard Spaeth (hintere Reihe, 2. v.r.) lebt seit 10 Monaten als Jesuit Volunteer in Orán, Argentinien.

 – Jesuit Volunteers

„Am Ende trifft es die einfachen Bürger“

Ausschnitt aus einem Artikel der Zeitung “El Tribuno” vom 17. Mai: Zwei der bekanntesten Fälle von Korruption der letzen Monaten, mit darin verwickelt Funktionäre der Provinzregierung, sind von der Staatsanwaltschaft der Abteilung wirtschaftliche Delikte eingefroren worden. Auf der einen Seite erscheint eine skandalöse Übergabe des Barrios Lomas de Medeiros, eine üblich soziale Gruppe des provinziellen Instituts von Wohungen (IPS), an eine Mehrzahl Fami­lienangehöriger, Freunde und Funktionäre der Regierung Urtubey. Unter vielen anderen, erschien der legale und technische Sekretär Pablo Robbio Saravia, trotz seinen Besitztümern von 392 Quadratmeter im Barrio Chacras de Santa […], ein weiteres von 975 Quadratmeter […] an der Costa Esmeralda, eine exklusive Lage […] an der Atlantikküste und auch ein Apartment im dritten Stock […] in Salta. Auf der anderen Seite gibt es einen Fall, ebenfalls paradigmatisch, von kometenhafter Bereicherung eines sehr vertrauten Funktionär der Regierung Urtubey: Marcelo Cil, der im Jahr 2007, trotz seiner fünf Besitztümer zwischen Salta und Jujuy, zwei Fahrzeuge der oberen Preiskategorie und sehr teuren Reisen seiner Familie und ihm durch die ganzen Welt, keine Steuern zahlte. In beiden Fällen gibt es Strafanzeigen, die bei der Staatsanwalt schlummern, Aktenmappen durch welche Pablo López Viñals die Fäden der Justiz zugunsten der Exekutive spinnt. Derzeit befinden sich die zwei Anzeigen in vorläufiger Untersuchung, beim zuständigen Staatsanwalt von wirtschaftlichen Delikte, Guillermino Akemeier, welcher sie jedoch weigert Ermittlungen aufzunehmen. Einer der Kläger, der Rechtsanwalt Carlos Saravia, äußerte der Zeitung „El Tribuno“ dass „ angesichts einer einzigen Vermutung von Korruption, der Staatswalt schon die Ermittlungen aufnehmen kann. Aber in diesem Fall, scheint es, dass er die Beweise abwägen würde, um die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu bestimmen, was eine Befugnis, ausschließlich für Richter, ist.“ Der Mangel an Erlassen zur Aufnahme der Ermittlungen verhindert, dass sich irgendeine Person, die sich als Opfer sieht, als Kläger präsentieren kann; es vermeidet, dass die richterlichen Ermittlungen begonnen werden und, noch schlimmer, dass kein Richter die Handlungen des Vertreters der Staatsanwaltschaft, in diesem Fall Akemeier, kontrollieren kann. […] Liebe Freunde und Verwandte! Ich hoffe, dass es euch allen gut geht. Ich habe euch seit langem keinen Rundbrief mehr geschickt und möchte euch etwas über die Korruption in Argentinien schildern. Wie ihr anhand von diesem Zeitungsartikel merkt, ist die Korruption in Argentinien bis in die höchsten Instanzen Gang und Gebe. Im internationalen Vergleich belegte Argentinien 2012 laut Transparency International Platz 102 von 174. Im Latein­amerikanischen Vergleich ist das im mittleren Bereich. Venezuela belegte 2012 als Schlusslicht Latein­amerikas Platz 165, Chile landete auf Platz 20, Brasilien auf Platz 69, Kolumbien auf Platz 94 und Mexiko landete im letzten Jahr auf Platz 105 (Quelle: Transparency International). Das Argentinien daher nur im mittleren Feld im Vergleich zu vielen anderen Ländern dieses Erdteils liegt, kann man jedoch nicht gut heißen. 2011 lag Argentinien auf Platz 100 von 182, 2010 auf Platz 105. Fakt ist: Es muss einiges gegen die Korruption unternommen werden und der Staat muss zeigen, dass er bereit ist, die Korruption zu bekämpfen. In der Kritik steht derzeit eine Reform der Justiz, welche es der Präsidenten ermöglichen könnte, mehr Richter zu ernennen, die ihre Politik unterstützen. Kritisiert werden zudem die schleppenden Ermittlungen gegen Vizepräsident Amado Boudou, dem Vorteilsgewährung im Amt vorgeworfen wird. Der derzeitige Papst und ehemaliger Kardinal von Buenos Aires kritisierte schon vor Jahren die Armut im Lande und die dafür verantwortliche Korruption unter der Regierung Kirchner kritisiert. Damit war er für die Regierung ein „Gegner“ und anstatt etwas gegen das Problem zu unternehmen, wurde der Papst kritisiert. Wenn ich die Menschen hier frage, was sie von den Politikern denken, wurde mir immer geantwortet, dass diese nur in die eigene Tasche wirtschaften und sich nicht für die Menschen und ihre Sorgen interessieren. Interesse und Vertrauen in die staatlichen Institutionen gibt es kaum. Ein Politiker ist für die meisten eine korrupte, egoistische und lügende Person. 2002 befand sich der Expräsident Carlos Menem als Hauptverdächtiger in einem Prozess, bei dem es um einen Waffendeal ging. Als es zu einer ersten Verhaftungswelle wegen des Waffenschmuggels kam, behinderten eine Vielzahl seltsamer Selbstmorde und tödlicher Unfälle die Ermittlungen. Auch der Tod von Menems Sohn „Carlitos“ bei einem Hubschrauberunglück wurde nie aufgeklärt.. Menem wurde dafür nie belangt. All diese Geschichten zeigen, wie Korrupt die Justiz ist und dass allen Menschen der Prozess gemacht wird – es sei denn, du hast Geld und Macht. Dann belangt dich nämlich niemand und du hast Handlungsfreiheit. Das ist die allgemeine Meinung, die durch all diese Geschichten begründet ist. Letzte Woche war ich in einer Guaraní-Kommunität, nahe Orans. Die indigene Bevölkerung hat Bananenplantagen und Gemüsefelder. Das Problem ist, dass sie ihre Plantagen direkt neben den Zuckerrohrfeldern einer der größten Zuckerfirmen Latein­amerikas haben. Weder die Zuckerfirma noch die Indigenen können beweisen, dass es ihr Boden ist. Seitdem wird die indigene Gemeinde immer wieder bedroht. Angeblich von Männern der Zuckerfirma. Sobald sie die Polizei rufen, wird ihnen jedoch nicht geholfen: Entweder sie kommt gar nicht oder sie bedroht die Bewohner ebenfalls. Die Zuckerfirma vergrößerte immer wieder ihre Felder und wurde dafür nie belangt. Das Drama ist, dass den Indigenen von keiner staatlichen Institution geholfen wird. Sie möchten ihre Kinder zur Schule schicken, müssten dafür aber in Oran wohnen. Sobald ein Teil der Familie jedoch in Oran wohnt, verlieren sie ihre Felder und damit ihr Einkommen. Die Justiz verhilft den Indigenen nicht zu ihrem Recht, obwohl es einen Artikel zum Schutz der Rechte der Indigenen gibt. Offiziell. Inoffiziell tun die staatlichen Institutionen so, als wäre dieser Artikel nicht existent. Korruption ist der Missbrauch einer Vertrauensstellung in einer Funktion in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Politik oder auch in NGOs um einen Vorteil zu erlangen, auf den kein rechtlich begründeter Anspruch besteht. Korruption begrenzt das Wachstum, aber geringes Wachstum fördert wiederum die Korruption und gestaltet es schwierig, die Effektivität des Staates zu verbessern. Auf jeden Fall ist Korruption allein nicht das Hauptproblem. Stattdessen zeigt es die grundlegenden Schwächen in der Arbeitsweise des Staates. Umfragen in El Salvador, Nicaragua, Bolivien und Paraguay im letzten Jahrzehnt haben gezeigt, dass Menschen, die Korruption ausgesetzt sind, weniger Vertrauen in die Politik haben und anderen Bürgern weniger trauen. Einige Nicaraguaner wurden gefragt, ob die Bezahlung von Bestechungsgeldern „die Erledigung von Dingen im Beamtenapparat erleichtert.“ Diejenigen, die der Meinung waren, dass Korruption funktioniert, hatten weniger Respekt vor dem politischen System. Eine Erhöhung der Löhne ist kein ausreichendes Mittel, auch Strukturreformen sind erforderlich. Länder mit unabhängigeren Beamten haben in der Regel eine effizientere Verwaltung und weniger Korruption. Ein gutes und unabhängiges Justizwesen ist nötig, damit jeder Bürger zu seinem Recht kommt. In Ländern mit unabhängigem Justizwesen gibt es weniger organisiertes Verbrechen. In Venezuela werden Investoren durch die gerichtliche Ungewissheit und durch die langsame Verwaltung abgeschreckt und investieren nicht. Eine weitere Studie, die auf detaillierten Befragungen ecuadorianischer Unternehmer beruht, deutet darauf hin, dass die Investitionen um 10 % steigen würden, wenn das Justizwesen funktionieren würde. Manche Umfragen zeigen, dass zwischen 20% und 40% der Latein­amerikaner nicht auf die staatlichen Institutionen vertrauen. In Mexiko werden 8 von 10 Gerichtsprozessen eingestellt. In einer peruanische Studie wurde aufgedeckt, dass es sich bei der Justiz um die korrupteste Institution des Landes handelt. Dort wurden 42% aller Bestechungsgelder an die Justiz bezahlt. Die Korruption kann zu Mangel an nötigen Investitionen führen und dadurch werden Arbeitsplätze verhindert. Wirtschaftlich gesehen ist es ebenfalls schädlich, weil es sein kann, dass die weniger effizienten Firmen einen Auftrag bekommen und das kann den Staat viel Geld kosten. Im Gesundheitswesen führt Korruption zu überteuerten Preisen und sie erschwert den Zugang zu medizinischen Leistungen. Oft muss man auch ein kleines „Trinkgeld“ bezahlen, damit man schneller an medizinische Leistungen kommt. Nach Angaben der Weltbank muss jeder Mensch rund 7% seiner Arbeitsleistung für Korruptionsschäden blechen. Alles in allem trifft die Korruption oft die kleinen und auch oft finanziell schwachen Personen. Es werden Grundrecht verwehrt, der medizinische Zugang erschwert. Durch Korruption und Vetternwirtschaft nimmt die Produktivität des Staates ab. Das allerschlimmste, meiner Meinung nach, ist aber, dass das Vertrauen in den Staat abnimmt und sich dadurch die korruptesten Personen an der Macht halten können, ohne belangt zu werden. Am Ende trifft es die einfachen Bürger. Leonhard Spaeth, Argentinien

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